Die meisten Arten sind selten - Aber nicht sehr selten



Bio-News vom 05.09.2023

Über 100 Jahre Naturbeobachtungen haben ein potenziell universelles Muster der Artenhäufigkeit enthüllt: Die meisten Tier- und Pflanzenarten sind selten, aber nicht sehr selten, und nur wenige Arten sind sehr häufig. Diese sogenannte „globale Artenhäufigkeitsverteilung“ ist für intensiv untersuchte Artengruppen wie die Vögel mittlerweile lückenlos erfasst. Für andere Artengruppen wie die Insekten ist das Muster noch unvollständig. Zu diesem Ergebnis kommt eine Studie, die zeigt, wie wichtig das Monitoring der Biodiversität ist, um die globale Artenhäufigkeit zu bestimmen und ihren Wandel zu verstehen.

„Wer kann erklären, warum eine Art weit verbreitet und sehr häufig ist und warum eine andere, verwandte Art nur eine geringe Verbreitung hat und selten ist?“ Diese Frage stellte Charles Darwin vor über 150 Jahren in seinem bahnbrechenden Buch „The Origin of Species“. Eng verknüpft ist die Frage, wie viele Arten häufig und wie viele selten sind – die sogenannte globale Artenhäufigkeitsverteilung (global species abundance distribution, gSAD).


Das Ceylonpapageichen (Loriculus beryllinus) lebt nur in Sri Lanka. Es ist eine sehr seltene Art, d. h. es gibt nur wenige Individuen

Publikation:


Callaghan, C. T., Borda-de-Água, L., van Klink, R., Rozzi, R., Pereira, H. M.
Unveiling the global species abundance distributions of Eukaryotes

Nature Ecology and Evolution

DOI: 10.1038/s41559-023-02173-y



Wissenschaftler haben im vergangenen Jahrhundert zwei bedeutende gSAD-Modelle vorgeschlagen: Laut dem Modell von R. A. Fisher, einem Statistiker und Biologen, sind sehr seltene Arten (solche mit wenigen Individuen) am häufigsten, und die Zahl der Arten nimmt ab, je mehr Individuen es von ihnen gibt (Log-Serien-Modell). F. W. Preston, ein Ingenieur und Ökologe, meinte dagegen, dass nur wenige Arten sehr selten sind und die meisten Arten eine mittlere Häufigkeit (an Individuen) aufweisen (Log-Normal-Modell). Trotz jahrzehntelanger Forschung wussten die Wissenschaftler bis heute nicht, welches Modell die globale Artenhäufigkeit am zutreffendsten beschreibt.


Der Leopard (Panthera pardus) hat eine geringe bis mittlere Häufigkeit

Klar war, dass sich dieses Problem nur mit sehr vielen Daten lösen lässt. Die Autoren der Studie nutzten die Global Biodiversity Information Facility (GBIF) mit über einer Milliarde Artenbeobachtungen zwischen 1900 und 2019.

„Die GBIF-Datenbank ist eine fantastische Ressource für verschiedenste Fragen der Biodiversitätsforschung, vor allem deshalb, weil sie Daten aus der professionellen Forschung mit Daten von Bürgerwissenschaftlerinnen und -wissenschaftlern aus der ganzen Welt zusammenführt", sagt Erstautor Dr. Corey Callaghan. Er begann die Studie bei iDiv und an der MLU und arbeitet jetzt an der UF.

Callaghan und seine Forscherkollegen unterteilten die Daten in 39 Artengruppen, z. B. Vögel, Insekten oder Säugetiere. Für jede dieser Gruppen erstellten sie die globale Artenhäufigkeitsverteilung.

Die Forscher fanden ein potenziell universelles Muster, das erkennbar wird, sobald die Artenhäufigkeitsverteilung vollständig enthüllt ist: Die meisten Tier- und Pflanzenarten sind selten, aber nicht sehr selten, und nur wenige Arten sind sehr häufig – so wie es Prestons Log-Normal-Modell vorhersagt. Die Forscher stellten auch fest, dass dieses Muster erst für wenige Artengruppen wie Vögel oder Palmfarne vollständig enthüllt worden ist. Für alle anderen Artengruppen sind die Daten noch zu unvollständig.

„Wenn man nicht genügend Daten hat, sieht es so aus, als ob die meisten Arten sehr selten sind“, sagt der Letztautor der Studie, Prof. Henrique Pereira, Forschungsgruppenleiter bei iDiv und an der MLU. „Aber wenn neue Beobachtungen hinzukommen, ändert sich das Bild. Dann sieht man, dass es tatsächlich mehr seltene als sehr seltene Arten gibt. Wir können diese Verschiebung sehr schön für Palmfarne und Vögel sehen, wenn wir die Artenbeobachtungen von 1900 bis heute vergleichen. Es ist faszinierend: Man sieht die sukzessive Enthüllung der wahren globalen Artenhäufigkeitsverteilung, so wie Preston sie vor vielen Jahrzehnten vorhergesagt hat. Wir sehen jetzt, dass er richtig lag.“

„Obwohl wir seit Jahrzehnten Arten beobachten und Daten sammeln, haben wir das typische Muster erst für wenige Artengruppen enthüllt“, ergänzt Callaghan. „Wir haben noch einen langen Weg vor uns. Aber GBIF und die gemeinsame Datennutzung sind für mich die Zukunft der Erforschung und des Monitorings von Biodiversität.“

Die neue Studie hilft den Wissenschaftlern, den Enthüllungsgrad der Artenhäufigkeitsverteilungen abzuschätzen. Dies wiederum könnte eine weitere, langjährige Forschungsfrage beantworten: Wie viele Arten gibt es insgesamt auf der Erde? Die Studie zeigt, dass für einige Gruppen (Vögel, Palmfarne) fast alle Arten entdeckt und beschrieben worden sind, für andere (Insekten, Kopffüßer …) dagegen nicht.

Die Forscher glauben, dass ihre Ergebnisse dazu beitragen könnten, Darwins Frage zu beantworten, warum manche Arten selten und andere häufig sind. Das von ihnen teilweise enthüllte, möglicherweise universelle Muster könnte auf grundlegende Mechanismen hinweisen, welche die unterschiedlichen Artenhäufigkeiten erklären. Während weiter geforscht wird, verändert unser Handeln die Häufigkeit von Arten. Dies erschwert die Aufgabe der Forscher: Sie müssen nicht nur verstehen, wie sich Artenhäufigkeiten natürlicherweise entwickeln, sondern auch wie sie gleichzeitig vom Menschen verändert werden. Bis zur endgültigen Beantwortung von Darwins Frage ist es vielleicht noch ein weiter Weg.


Diese Newsmeldung wurde mit Material des Deutschen Zentrums für integrative Biodiversitätsforschung (iDiv) Halle-Jena-Leipzig via Informationsdienst Wissenschaft erstellt.

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